Im Land des Hechelns

Zu Besuch bei zwei schwulen Männern, von denen einer öfter so tut, als sei er ein Hund

Von Oliver Gehrs

Er sei durch und durch pervers, hat Baxxter neulich dem Reporter eines Stadtmagazins gesagt – das war für einen Artikel, der davon handelte, wie sexverrückt die Berliner sind. Fesselspiele, Knutschen mit Fremden, Partys, auf denen viele nackt sind, Gruppensex – das alles scheint gerade sehr en vogue. 
Baxxter stand für einen weiteren Fetisch: Human Pupplay, so nennt man es, wenn sich Menschen eine Hundemaske aus Leder oder Latex aufsetzen, zwei pfotenähnliche Handschuhe anziehen und einem Ball hinterhertollen. Manche machen das zur Entspannung, anderen macht der Sex auf diese Weise einfach mehr Spaß. 
Bei diesem Rollenspiel gibt es neben dem Puppy – also dem Welpen – den sogenannten Handler, also das Herrchen, das mal mehr, mal weniger resolut am Halsband zieht, den Pup lobt und streichelt und ihm, wenn er besonders artig war, zum Beispiel einen Keks gibt. In Baxxters Beziehung gibt er offiziell den Ton an, sein Freund Finn mimt im Kostüm den folgsamen Labrador. 
Wenn man die beiden in ihrer Berliner Altbauwohnung besucht, wirkt gar nichts pervers, sondern erst mal alles extrem aufgeräumt. Selbst die Haustürschlüssel müssen sich ordentlich verstaut in einer Schublade befinden, jedenfalls liegt nichts herum. Die Wände sind schneeweiß, die Schränke auch, und an der Decke sind Downlights angebracht, die mit Bewegungsmeldern verbunden sind. Baxxter und Finn sind beide Programmierer und haben offensichtlich gern alles unter Kontrolle. 
Wenn man aber unbedingt etwas seltsam finden will, dann sind es vielleicht die zwei Paar schweren Motocross-Stiefel, die oben auf dem Schrank stehen und ebenfalls unfassbar sauber sind – obwohl Motocross doch aus Motorradfahren im Dreck besteht. Ein Rätsel, das später noch gelöst wird. 
Aber erst einmal ins Wohnzimmer. Da steht der große Flachbildschirm, dort das moderne Ecksofa, am Fenster ein Esstisch mit vier Stühlen. Und vor dem Durchgang zum Schlafzimmer liegt in einem übergroßen Hundekörbchen zwischen lauter Stofftieren der dösende Finn. Er trägt eine besonders schöne Hundemaske aus Leder, mit der er ein wenig aussieht wie Balou der Bär aus dem „Dschungelbuch“. Klappt er den Unterkiefer auf, sieht man eine tolle rote Stoffzunge. 
Das ist schon ein Lieber, sagt Baxxter, und recht hat er. Wenn man sich ein bisschen mit Finn beschäftigt, ihm mal den Ball zuwirft oder ihn mit der ausgeleierten Stoffente neckt, kann man gar nicht anders: Man muss ihn mögen und kraulen. Nur wenn man an seinem Gummischwanz zieht, knurrt er. 
Währenddessen erzählt Baxxter, der in kurzer Jogginghose und weitem roten Sweatshirt nach gemütlichem Wochenende auf dem Sofa aussieht, dass er früher mal Sklave war. Das heißt, es ging in seinem Sexleben um Erniedrigung. Bis ihm sein Meister irgendwann eine Hundemaske mitbrachte, die Baxxter so gut gefiel, dass er sein Sklavendasein hinter sich ließ und in die Welt des Pupplay eintauchte. Baxter ist erst 22 Jahre alt, klingt aber wie ein alter Fetisch-Hase. 
Über Instagram lernte er Finn kennen, der zehn Jahre älter ist, nie ein Sklave war, aber kein Problem damit hat, sich Baxxter zu unterwerfen. Die Faszination liege aber weniger im Spiel mit Gehorsam und Ungehorsam, erklärt Finn (und so sagen es viele Pupplayer), sondern vielmehr darin, einfach mal eine kurze Zeit den Alltag hinter sich zu lassen und sich um nichts zu kümmern – außer einem Ball hinterherzujagen und durch die Wohnung zu tollen. Wenn man sieht, mit welcher Freude Finn einen Stoffknochen durch die Gegend schleudert, erscheint einem das Pupplay tatsächlich als wunderbare Alternative zu anderen Formen der Entspannung wie – sagen wir mal – Yoga. 
Aber wie beim Yoga gibt es auch hier die Tausendprozentigen. Manche Pupplayer lesen Hundebücher und studieren im Tierheim das Verhalten echter Welpen, um sich dann unter der Maske zu fragen, ob sie gerade ein richtig guter Hund sind. Das Gegenteil von Abschalten also. Finn ist da deutlich entspannter, intuitiver. Nur ganz grob orientiert er sich am gutmütigen Charakter des Labradors, der seinen Besitzern wenig Ärger macht. 
Womit wir bei der Erziehung wären. Baxxter erzählt von den Rückschlägen beim Versuch, dem jungen Finn ein bisschen Disziplin beizubringen. Recht lang habe es gedauert, bis er endlich auf Kommando an seiner Seite ging. Noch heute brauche es manchmal drei Ermahnungen, damit er tut, was Baxxter sagt. 
Aber alles in allem gehört Finn zu den Besten seines Fachs. Auf dem Kölner Christopher Street Day wurde er im vergangenen Jahr zum „Puppy Germany“ gewählt, was für die beiden ein Riesending ist, schließlich besteht die Puppy-Szene in Deutschland aus Hunderten von Mitspielern. 
Einmal im Monat gehen Baxxter und Finn auch zu einem Stammtisch und treffen dort auf stattliche Rüden, verspielte Streuner, verträumte Welpen, auf strenge und gelassene Handler. Zu Ostern waren sie Teil eines großen Rudels, das unweit der Siegessäule im Tiergarten auftauchte – wobei die Berliner mit ihrem Hang zur ostentativen Unbeeindruckbarkeit nicht mal hundert schwule Männer mit Hundemasken besonders beachteten. Als Finn neulich mal als Puppy durch einen Park lief, forderte ein Vater sogar sein Kind auf, mit ihm zu spielen. Das sei in kleineren Städten deutlich komplizierter, sagt Baxxter, der in Mecklenburg-Vorpommern aufwuchs. In der Provinz träfen Liebhaber ungewöhnlicher Rollenspiele meist auf Vorurteile, um nicht zu sagen auf Ablehnung. 
Zuweilen haben es die Pupplayer sogar in der Schwulenszene schwer, in der ja seit jeher unterschiedlichste Gruppen um die Deutungshoheit ringen: Lederkerle mögen keine Transen, sogenannte Bears – das sind stämmige Männer mit viel Körperhaar – haben wenig Lust auf Fetischtunten, alte Kämpfer für Homorechte beäugen skeptisch tanzwütige Jungspunde. Und bei allen sind Typen dabei, die die Nummer mit der Hundeverkleidung einfach nur albern finden. 
Auch Baxxter und Finn mussten sich schon fiese Sprüche auf dem CSD gefallen lassen, Kopfschütteln und fragende Blicke. Deswegen verteilen sie Prospekte, in denen Pupplay erklärt wird, auch eine Website haben sie gestaltet. Dort heißt es, dass beim Human Pupplay jeder mitspielen kann. Man muss nicht schwul sein und nicht mal ein Mann. Auch Frauen sind willkommen, allerdings machen noch nicht so viele mit. Selbst die Verkleidung ist kein Muss. Im Grunde reicht es, sich mit Knieschützern auf alle viere zu begeben. Und wer mehr will: Hundemasken gibt es schon ab 40 Euro. Vielleicht lässt es sich so sagen: Pupplay bietet ein niedrigschwelliges Angebot für Leute, die mal ein bisschen Fetisch ausprobieren wollen, ohne gleich in einer Ledermontur für mehrere Tausend Euro auf der Folsom Parade herumzulaufen – oder als verschnürter Sexsklave im Berghain. 
Was nicht heißt, dass nicht auch beim Pupplay oft Sex im Spiel ist, Hunde haben ja so einen Ruf. Daher gibt es auch nicht nur den Gummischwanz zum Umschnallen, sondern auch einen, den man per Plug im Po versenken kann. Und natürlich kommt es auch mal zum Rudelbums, was aber nicht so Baxxters und Finns Sache ist.

Aber was ist denn jetzt mit all der Perversion, von der Baxxter angeblich durchdrungen ist? 
Baxxter bittet noch mal ins Schlafzimmer. Dort hängen im Schrank zwei Latexanzüge und jede Menge Motorradkleidung mit Rückenpanzern aus Plastik. Die Piste, auf der im Motocross-Outfit Gas gegeben wird, ist also das große Doppelbett. 
Und dann zieht Baxxter noch die unteren Schubladen des Schranks auf. Ordentlich verstaut liegen darin ein Dildo, ein schwarzes Seil mit einem Mundknebel, eine Tüte mit einem Paar Stinkesocken und ein kleines weißes Latex-Ei, das man mit Gleitgel füllen und über den Penis ziehen kann, dem dann ganz warm wird. 
Baxxter macht die Schublade wieder zu. Jetzt will er lieber noch mal zeigen, wie er Finn mit einem Toffifee Pirouetten drehen lässt. Oder vielmehr Finn so tut, als wäre es Baxxter, der ihm diese Nummer beibringt.

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