Hui, die Prostata

Immer dieser Tanz um den goldenen Schwanz. Eine Lesbe beschwert sich

Von Jytte Jollensen

Früher waren auch wir Frauen schwul. Da hatten warme Brüder warme Schwestern und alle waren vom anderen Ufer. Das ist hundert Jahren her. Ob wir uns da näher waren? Keine Ahnung. Selbst vor 50 Jahren, 1967, als das Wort ‘schwul’ in den Duden aufgenommen wurde, gehörte es noch beiden Geschlechtern. Derb für: homosexuell. Heute sind Männer schwul und Frauen lesbisch. Aber hey, trotzdem: Happy Birthday schwul! 

Die warmen Weiber wollten es nicht anders: Mitte der Siebziger spalteten sich die schwulen Frauen von den Männern ab, weil sie mehr Gemeinsamkeiten mit der Emanzipationsbewegung sahen als mit homosexuellen Männern, und nannten sich Lesben. Was für ein bescheuertes Wort, nur weil 600 vor Christus eine griechische Dichterin auf Lesbos ihre Freundinnen heiß fand. Seitdem ist viel passiert: Lebenspartnerschaftsgesetz, Ehe für alle, Adoptionsrecht. Eigentlich ganz gut. Nur dieses Wort ‘lesbisch’ ist nie cool geworden. Manchmal wäre ich lieber wieder schwul. 

Und das nicht, weil Lesben und Schwule so viel gemein haben. Anfang der Nullerjahre gab es im OstGut, dem Vorläufer des Berghains, eine Partyreihe, die Schwule und Lesben auf dem Dancefloor zusammenbringen wollte. Sie hieß „Dancing With The Aliens“. Nie wurde unser Verhältnis besser beschrieben: Wir Homos sind einander einfach sehr fremd. Wenn man alle Klischees über einen Kamm schert, und man kann nicht über Schwule oder Lesben reden ohne das zu tun, dann haben die anderen Homos genau die Eigenschaften, die man für sich selbst ablehnt. Mitunter sind wir füreinander sogar das Unattraktivste auf der Welt. Ein schwuler Mann versteht jede Heterofrau besser, und schart auch meistens einen ganzen Club davon um sich: zum Shoppen, Feiern, Tratschen, Sekt trinken oder Germany’s Next Topmodel gucken. Umgekehrt hat wahrscheinlich nur ein heterosexueller Mann in ganz Deutschland verstanden, dass es in Frauenfragen keine bessere Beraterin gibt als eine Lesbe, und das ist mein Freund M. 

Manche Schwule sagen, ihnen tun heterosexuelle Männer leid. Weil die so wenig Sex haben. Und wahrscheinlich stimmt es, dass ein schwuler Mann mit Leistenbruch immer noch mehr Sex hat als jeder Hetero. Schwule lieben die Potenz von der Potenz, und versichern auch gerne, dass man in Städten wie Berlin 24 Stunden am Tag Sex haben kann, wenn man will. Sie feiern geradezu die Männlichkeit, auch manchmal so hart, dass es weh tut: „Solange Frauen ihre Titten nicht auspacken, sind gemischte Partys okay.“ Hab ich so schon gehört, sogar von einem schwulen Freund, der sich eigentlich für die Gleichheit von Homos in der Heterowelt einsetzt. Das ist natürlich kein bisschen besser als jeder misogyne Titten-raus-Witz von irgendeinem Motorradrocker, der Schwulen gern mal eine aufs Maul haut. Zumal die meisten Frauen grundsätzlich nicht sehr dafür brennen, ihre nackten Brüste auf der Tanzfläche auszuführen. Derselbe Freund erzählte mir zuvor auch mal, dass es für viele Schwule keine ekelerregendere Vorstellung gibt als die einer Vagina. Das ganze Fleisch, wie grässlich. 

Natürlich finden auch Lesben einen Penis nicht unbedingt attraktiv. Aber die Beschaffenheit des Schwanzes ist nicht der Grund für das ambivalente Verhältnis zu Schwulen. Es ist seine Wirkungsmacht. In der Homowelt bilden sich die Geschlechterverhältnisse einer männlich dominierten Gesellschaft nämlich genauso ab: Schwule Männer sind ökonomisch überlegen, meistens stehen die Transvestiten, Tunten, Dragqueens im Rampenlicht, Schwule steuern und prägen die Subkultur, während Lesben noch immer um ihre feminine Potenz kämpfen müssen. Und darum, im Dunst des schwulen Narzissmus überhaupt gesehen zu werden. Selbst am Anfang eines Witzes kommen immer zwei Schwule in eine Bar. Und Schwule bekommen jetzt sogar eine Dummy-Ausgabe! Klar kann man jetzt sagen: Hey Lesben, macht euch mal locker. Aber eben auch: Hey Schwulis, macht halt mal Platz! 

Fast jeder Christopher-Street-Day ist zu einer riesigen Schwulenparade geworden, bei dem sich hedonistische Klischeeschwule in die erste Reihe drängen, um ihre blanke Körpermitte aktiv oder passiv zu präsentieren. Weil schwule Männer nicht nur einen Penis besitzen, sondern andere Penisse auch noch begehren, ist ein irrer Tanz um den goldenen Schwanz entstanden. Ich habe auf der Grindr-App von schwulen Freunden so viele Supercocks und XXL-Dicks gesehen – und keine Gesichter dazu. Da hat man dann ein Date mit einem Dickpic. Keine Lesbe käme auf die Idee mit ihrer Donnermumu voraus eine Frau aufzureißen. 

Und nein, das ist kein Penisneid. Aber am Penis liegt es, dass Frauenliebe noch nie wirklich ernst genommen wurde. Noch nicht mal, wenn man mit einer verheirateten Heterofrau schläft. Im Zweifel findet der Ehemann das sogar reizvoll. Wobei wiederum nichts einen Heteromann mehr verunsichert, als wenn eine Lesbe sein Geschlecht einfach ignoriert. An diesem Schwanz liegt es auch, dass Eltern tendenziell mehr Probleme damit haben, einen schwulen Sohn zu haben als eine lesbische Tochter, weil sie sich glaube ich immer vorstellen, dass ihr Junge in den Arsch gefickt wird. Und das möchten sich Eltern, vor allem Väter, nicht vorstellen, weil es im Zweifel schwach wirkt. In unserer Gesellschaft ist man es gewohnt, mit weiblicher Schwäche umzugehen, aber nicht mit männlicher. Das Problem ist nicht, dass Frauen denken, ihnen fehle da unten was ganz Wichtiges, das Problem ist eher, dass Männer das denken. Und Schwule vielleicht noch ein bisschen mehr. 

Weshalb mich auch die Freizügigkeit nicht erstaunt, mit der sie über ihre sexuellen Erlebnisse erzählen: Wie der perfekte Schwanz geschaffen sein muss. Vom Anus-Spülen, bevor man als passiver Mann feiern geht. Wie geil Poppers den Orgasmus verlängert. Die Prostata, hui! Nicht, dass man das alles so genau wissen wollte. Aber beeindruckend ist diese Offenheit dennoch. 

Und die ist ein guter Punkt: Schwule können sich, wie Männer überhaupt, besser vermarkten als Lesben, egal ob Tunte, Indie-Schwuppe oder Bärchen. Die schwule Welt scheint immer schillernd, wild und frei zu sein, und deren Bewohner schön, humorvoll, ästhetisch und manchmal eben ein bisschen vulgär. Auch wenn das noch nicht bis in den letzten Bodensatz der Gesellschaft durchgesickert ist, aber schwul ist mittlerweile cool. Zwar sind auch viele Lesben schon lange ihrem Klischee entwachsen – sie tragen Kleider und häufig auch die Haare lang und feiern sogar Sexparties – aber das weiß kaum einer. Im Zweifel ist es für Lesben auch schwieriger, offen nach außen zu gehen, weil sie für einen großen Teil der Männer gerade wegen ihrer Sexualität eine herrliche Wichsvorlage sind. Schwule hingegen bekommen öfter eine aufs Maul, beides ist nicht sehr schön. Aber die Wunden werden getrennt geleckt. 

Es ist ein typisches Minderheitenproblem, sich im Kampf um Anerkennung stets in noch kleinere Minderheiten zu unterteilen und schließlich zu Konkurrenten zu werden. So ist es auch bei uns Homos geschehen, auch wenn das nicht nach außen getragen wird: Wer liebt mehr? Wer leidet mehr? Wer hat mehr Sex? Wer mehr Beziehungen? Wer hat mehr Spaß? Wer ist erfolgreicher? Und wer hat irgendwann eine Familie? Es ist doch zum Heulen. 

Das Einzige, was Schwule und Lesben verbindet ist, dass wir anders sind als die anderen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in unserem Leben haben wir uns alle als Freaks gefühlt. Ich meine, es ist 2017 und wir müssen uns immer noch outen oder outen lassen, also klarstellen, dass wir andersrum sind, das ist echt awkward. Und nicht selten müssen wir immer noch gegen Klischees von uns ankämpfen: Die Schwulen, dass sie nicht jedem bierbäuchigen Hetero an den Arsch wollen, und Lesben, dass sie nicht von Penisneid zerfressene Quadratschachteln sind. 

Wenn alle Homos so schlau wären wie mein Freund M, dann könnten wir etwas voneinander lernen, nämlich das zu verstehen, was uns am fremdesten ist. Das erwarten wir immerhin ja auch von der Gesellschaft. Dann könnten wir irgendwann sogar wieder warm miteinander werden. Wir Lesben machen uns dann schon mal locker.

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