Alemania? No me interesa

In den USA finden deutsche Interessen nur noch wenig Gehör; ein Interview mit Jan Techau von der American Academy

Von Oliver Gehrs und Wulf Schmiese

Schön, dass wenigstens noch ein paar Amis in Berlin sind, nachdem nicht mal mehr das Deutsch-Amerikanische Freundschaftsfest einen sicheren Platz hat und zuletzt in die Ödnis vor dem Hauptbahnhof abgeschoben wurde. Aber hier am Wannsee, da weht einen noch mal die ganze Herrlichkeit der freundschaftlichen Okkupationskultur an. Die American Academy, die sich seit 1994 dem kulturellen Austausch zwischen den Ländern widmet, residiert in einer herrlichen Villa mit zum See abfallendem Rasen und einem kleinen, exklusiven Yachtclub. Am anderen Ufer ahnt man das Haus der Wannseekonferenz, wo die Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde. Hier, auf der richtigen Seite, sind die beheimatet, die dem Nazi-Spuk einst ein Ende bereiteten und die schlimmen Deutschen nicht mal bestraften, sondern mit Elvis, Chewinggum und Marshallplan wieder aufpäppelten.
Die beiden Abgesandten aus dem Transatlantik-Ressort des DUMMY-Magazins stehen noch kurz auf der sonnenbeschienenen Terrasse und sammeln ihre Gedanken, als plötzlich ein kleines, von unten bis oben tätowiertes Männlein über den Rasen kommt. Der mexikanische Gärtner? Wohl kaum. Eher schon der neueste Fellow der American Academy, die löblicherweise jedes Jahr Kulturschaffende aus den USA hierherholt. James Daniel Rodriguez, der sich als „visual artist“ aus Los Angeles vorstellt, wird sofort als Abonnent gewonnen. Dann tritt Jan Techau aus der Kulisse und bittet in die vornehme Library. Es geht los.

DUMMY: Herr Techau, in den 20er-Jahren waren die Konservativen antiamerikanisch, dann die Nazis, ab 68 und dem Vietnamkrieg schließlich die Linken. Wer sind heute die Antiamerikaner?
Jan Techau: Heute ist das Spektrum größer – vom klassischen Linken bis weit ins bürgerliche Lager. Die Bürgerlichen hassen natürlich die disruptive Kraft der USA, die ständige Unordnung. Es wird ja immer etwas in Frage gestellt und neu verhandelt. Ob es die Frauenbewegung ist, der Antikolonialismus, die Emanzipation der Homosexuellen, das sind alles amerikanische Kinder, die zu uns rübergekommen sind und die bürgerlichen Kreise entwurzeln. Die müssen sich ständig mit der Moderne auseinandersetzen, für die Amerika steht.

Handelt es sich bei den USA nicht eher um eine Moderne von gestern? Der ungebremste Konsum oder das Beharren auf archaischen Rechten wie dem Waffengebrauch sind ja eher das Gegenbild einer modernen Gesellschaft.
Das kann man nur sagen, wenn man von den USA keine Ahnung hat. Hier wurde der postmoderne grüne, energetische Mensch erfunden, der kommt ja nicht aus Prenzlauer Berg. Weil Amerika so groß ist, ist eben alles da: das extrem Fortschrittliche und das abgrundtief Provinzielle.

Die Linke hat den USA oft einen gewissen Extremismus unterstellt: Mit Sprüchen wie „USA, SA, SS“ wurde während des Vietnamkriegs ganz unverfroren deutsche Geschichte in die amerikanische reingepanscht und die Amerikaner als unberechenbar und faschistoid beschimpft. Wenn man heute Trump anschaut, fragt man sich, ob diese Leute nicht recht hatten.
Das Trump’sche Element ist nicht speziell amerikanisch. Das gibt es in Frankreich, Belgien, Holland oder Ungarn auch. Diese Auflehnung gegen politische Eliten, die Probleme seit 30 Jahren nicht gelöst haben. Wir haben überall funktionierende Systeme, die keine Probleme mehr lösen. Bei Trump kommt das noch mal eine Nummer härter rüber, weil er versucht, sich als archetypische Figur zu erschaffen. Zur Projektion des Feindbildes taugt er natürlich sehr gut.

Wir hatten in den letzten Monaten viele Fotostrecken aus den USA auf dem Tisch, und man sah Menschen, denen im Akkord in Turnhallen die Zähne gezogen werden, Drogenabhängige, Polizeigewalt, verarmte Schwarze. Das waren teilweise Bilder wie aus einem Dritte-Welt-Land. Andererseits künden die Zahlen von einem ökonomischen Aufschwung unter Barack Obama. Wie passt das zusammen?
Es gibt eine Abkopplung der Elite, die vor allem vom Boom nach der Wirtschaftskrise profitiert hat. Für den Rest ist der große Wurf ausgeblieben. Da geht es ja nicht nur um den sogenannten „white trash“, also die weiße Unterklasse, oder die Minderheiten, sondern auch um die Mittelschicht. Diese Menschen sehen, dass es an den Rändern ihrer eigenen gesellschaftlichen Schicht bröckelt. 1975 waren 65 Prozent der Einkommen Mittelklasse-Einkommen, heute sind es nur noch 35 Prozent. Das sind keine armen Leute, aber sie haben das Gefühl, vom Boom nicht profitiert zu haben. Deswegen kommt Obama nicht gut weg bei ihnen. Die Reallöhne sind nicht gestiegen und somit die Kaufkraft auch nicht. In Deutschland ist es ähnlich. Da bekommen dann natürlich die „funny people“ an den politischen Rändern. In Deutschland gründen sie eigene Parteien, in den USA finden der Wettbewerb und die Radikalisierung innerhalb der Parteien statt.

Ist das nicht eine Schwäche des amerikanischen Systems, dass es eben nur diese zwei Parteien gibt?
Da findet ja genug Wettbewerb statt. Bei uns gibt es ja nichts Schlimmeres als Parteiengezänk, wir wollen Ruhe an der Front. In den USA ist es ein Zeichen vitaler Demokratie, wenn sich die Leute, salopp gesagt, den Schädel einschlagen. Es gibt aber ein ganz anderes Problem: Durch den Zuschnitt der Wahlkreise wurden viele „safe districts“ geschaffen. Das führt dazu, dass 80 bis 90 Prozent der Kongressabgeordneten wissen, dass sie auf jeden Fall wiedergewählt werden, weil ihre Wahlkreise so zugeschnitten wurden, dass sie ganz klar demokratisch oder republikanisch sind. Sie können sich also Radikalität und eine Verweigerungshaltung leisten. Deswegen gibt es seit Jahren keinen vernünftigen Haushalt, das hat zu einer Versteinerung im politischen System geführt.

Sie sprachen vom „white trash“, also den abgehängten Weißen. Man hat den Eindruck, dass das die einzige Minderheit ist, die von allen gebasht werden darf, für die die Regeln der Political Correctness nicht gelten, die keine Lobby hat. Ist Trump deren neuer Malcolm X, der für ihre Rechte kämpft?
Ich weiß nicht, ob Trump eine Malcolm-X-mäßige Erlöserfigur ist. Aber es gibt unter den abgehängten Weißen das Gefühl, dass da endlich einer ihre Sprache spricht. Es ist ihnen egal, ob der Bullshit erzählt, weil er den anderen so glaubwürdig einheizt. Das ist ja auch eine Art Verzweiflung, sich an so jemanden zu klammern.

Ist es auch ein Rückzugsgefecht der weißen Männer im Angesicht einer neuen Mehrheit im Lande, die von Latinos und anderen Migranten gestellt wird?
Es gibt Bewegungen, die so argumentieren. Dass nicht die Schwarzen oder Hispanics gefördert werden müssen, sondern der europäische Kulturkern Amerikas. 

Der ja in der Tat kleiner wird. Die meisten Amerikaner haben als Bezugsrahmen nicht mehr Europa, sondern Lateinamerika oder Asien. 
Auf der kulturellen Ebene gibt es eine Entfremdung, die normal ist. Amerika hat zum ersten Mal keinen kulturellen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Europa mehr. Die junge Generation hat nicht mehr das Gefühl, dass in Europa alles besser ist: das Essen, die Architektur, die Kunst. Es ist ja heute eher so, dass wir in Europa vor allem amerikanische Kultur konsumieren, HBO-Serien, Filme, Bücher. Und zwar, weil wir es unterhaltsamer, besser und letztlich auch relevanter finden als das, was wir selbst erzeugen. 

Jahrzehntelang hat die Linke gerufen: „Ami go home!“ Nun ist es passiert, der Ami ist gegangen. Und jetzt?
Jetzt kommen Heulen und Zähneklappern. Weil das strategische Gleichgewicht aus den Fugen gerät. Nach 1945 war die entscheidende Macht in Europa keine europäische mehr. Das heißt, der 2000 Jahre währende Kampf der Europäer um Vorherrschaft wurde zugunsten einer fremden Macht entschieden. Das bedeutete einerseits eine Degradierung der Europäer – übrigens auch eine Quelle von Antiamerikanismus –, auf der anderen Seite konnten zum Beispiel Deutsche und Franzosen befreit miteinander reden. Nun, da die Europäer selbst für Stabilität sorgen müssen, gehen die alten Rivalitäten wieder los. Der Streit zwischen den Europäern wird größer, externe Mächte wie China oder Russland bekommen Auftrieb. Jemanden wie Erdogan hätte man noch vor 15 Jahren mit einem Anruf aus Washington ruhiggestellt. Heute geht das nicht mehr.

Amerika wendet sich von Europa ab und sucht neue Verbündete im pazifischen Raum. Ist dieser von Obama verkündete „Pivot to Asia“ das endgültige Ende der deutsch-amerikanischen Freundschaft?
Das nicht, aber es stimmt, dass die USA weniger Interesse an Europa haben, weil sie wissen, dass China und Asien die zentralen Suppenküchen des Globus sind. Sie haben auch weniger Ressourcen als früher, da fragt man sich eben, wie man die sinnvoll verteilt.

Zur Entfremdung hat auch der Einmarsch im Irak beigetragen. Dieses Versagen der US-Außenpolitik steht seit Jahren monströs im Raum.
Es stimmt, dass man die Wirkung dieses Krieges nicht überschätzen kann. Da ist viel Vertrauen kaputtgegangen, auch in den USA selbst. Die erste Opposition sind ja nicht die wohlmeinenden Europäer, die den Amis erzählen, wie dumm sie sind, es sind ja die Amis selbst. Es waren ja nicht alle auf dem Kriegspfad. Die nicht interventionistische Obama-Außenpolitik ist ja das Ergebnis davon. 

Als Deutscher schaut man nicht nur auf Trump mit Befremden, sondern auch auf die übermäßige Political Correctness, vor allem an den Unis, wo ja eine regelrechte McCarthy-Stimmung herrscht. Wie kann das eigentlich koexistieren: Transgendertoiletten auf der einen Seite, Mauerbau gegen flüchtende Mexikaner auf der anderen? Sind sie USA hysterisch?
Willkommen in der Moderne, willkommen in der offenen Gesellschaft, wo alles da ist. Vieles gibt es ja auch bei uns, aber nur in der Schwundstufe. Knallharte Provinzialität, völlige Offenheit – das alles existiert in Amerika in kristalliner Form. Es gibt aber in der Tat hysterische Gruppen, deren Resonanzraum durch das Internet viel größer geworden ist. 

Kann die große Transformationsmaschine USA als Vorbild für die Bewältigung der Migration in Deutschland dienen?
Man darf nicht vergessen, dass es in den USA nicht nur offene Arme gibt, sondern auch knallharte Selektion. Die Amis haben ein Einwanderungssystem, da schlackern einem die Ohren. Für eine Greencard oder eine Aufenthaltsgenehmigung muss man kämpfen. Das ist schwer übertragbar: Dem politisch rechten Spektrum würde die grundsätzliche Willkommenskultur nicht schmecken, den Linken die Härten nicht. Fakt ist: In den USA wird Identität über Inklusion erzeugt. Die Leute können kommen, zahlen Steuern, lernen Englisch und werden Amis. Dann können sie daneben auch noch alles sein, was sie sonst noch so sein wollen. In Deutschland wird Identität durch Exklusion erzeugt, durch die sehr genaue Abgrenzung zwischen denen und uns. Deutschland fehlt der inklusive Instinkt.

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